Mrz. 012006
 

Artikel zur REQUIEM-Tagung von Christine Tauber

in F.A.Z., 22.02.2006, Nr. 45 / Seite N3

Glanz und Elend gebauter Erinnerung
Grab, Kult und Memoria: Eine Tagung des Berliner Requiem-Projekts

„Liebe Freunde des Morbiden“ – mit diesen erhebenden Worten leitete Horst Bredekamp am vergangenen Wochenende eine Tagung zum Thema „Grab, Kult und Memoria“ im Berliner Dom ein. Doch morbide ging es ganz und gar nicht zu, vielmehr hochkalkulatorisch, hochkonstruktivistisch und hochpolitisch. Volker Reinhardt formulierte eingangs provokante Fragen von globaler Reichweite zum Thema des gestifteten Gedenkens und der gebauten Erinnerung im Grabmal: Zwar sei nicht zu leugnen, daß Memorialstiftungen stets bestimmten Intentionen folgten, doch sei es fraglich, ob sie dann tatsächlich auch so rezipiert wurden, wie sie intendiert waren. Memoria trägt nämlich bisweilen Züge von Fortuna, da sie nur allzuoft macht, was sie will, und kaum steuerbar ist. Die erhoffte Rendite der Investition sozialen Kapitals ist somit im Falle von Gedächtnisstiftungen schlecht kalkulierbar.

Die andere entscheidende Frage, ob die ausführenden Künstler, die leider in den Diskussionen der Tagung eher marginalisierte Gestalten waren, sich jederzeit zu willigen Vollstreckern der inhaltlichen Auftraggeberwünsche degradieren ließen, wurde nicht gestellt. Mit einem erfrischenden Seitenhieb auf die derzeit grassierende Erinnerungsmode und die florierende Gedächtnisindustrie plädierte Reinhardt weiterhin dafür, das schwache Theorem des kollektiven Gedächtnisses endlich aus den Fesseln des Kollektivismus zu befreien, statt dessen lieber von „vielfältigen Erinnerungen“ zu sprechen und damit dem notwendig je individuellen Gedächtnis einen schärferen erkenntnistheoretischen Status zu verleihen.

Ausgerichtet wurde der Convegno vom Berliner „Requiem-Projekt“, das in den vergangenen Jahren durch eine Vielzahl von Veröffentlichungen und anregenden Beiträgen zur Sepulkralforschung, insbesondere im Umfeld der römischen Kurie und der dortigen Papst- und Kardinalsgräber, hervorgetreten ist. Ein Hauptthema und gewissermaßen den roten Faden der Fallstudien zu einzelnen Grabmälern, die auf ihre repräsentativen, memoriastiftenden und herrschaftslegitimatorischen Intentionen hin abgeklopft wurden, bildete die Frage nach Raumstrukturierung und Vereinnahmung von Raum als „Gedenk- und Repräsentationsraum“ in Totengedächtnis und Grabmalbau.

Tanja Michalsky (Frankfurt am Main.) versuchte in einer übergreifenden Fragestellung nachzuzeichnen, wie sich um 1500 eine adelsdominierte „Topologie der Erinnerung“ im Stadtraum von Neapel ausformt, wie soziale Netzwerke in der urbanen Topographie ablesbar werden. Einem essentialistischen und damit statischen Raumbegriff stellte sie programmatisch den dynamischen Raum entgegen, der sich je situativ in der konkreten sozialen Interaktion überhaupt erst konstituiert. Konkret verfolgte sie diesen Prozeß an Strategien der Monumentsetzung in San Domenico und den dortigen Adelsgrabmälern und Familienkapellen. Abschließend erklärte sie, hingerissen von ihrem Material, die Untersuchung der Materialität sozialer Räume zu einer möglichen neuen Aufgabe einer richtig verstandenen interdisziplinären kunsthistorischen Forschung.

Kilian Heck (Frankfurt am Main) rekonstruierte überzeugend das sichtbare Abstecken eines dynastischen Machtbereichs durch heraldische Zeichensetzung. Am Beispiel des lutherischen Herzogs Ulrich von Mecklenburg und seiner Grablege in der Güstrower Domkirche konnte er zeigen, daß diese dynastischen Duftmarken stets besonders dicht im Zentrum und an den Grenzen als den neuralgischen Punkten des Territoriums gesetzt wurden. In einer Art Extension der memorialen Sinnstiftung, die sich vom Körper des Verstorbenen über Leichentuch, Sarg, Grabmal, Aufstellungsort, Trauerzug, Einbindung des Kirchengebäudes in die Stadt und in das herrscherliche Territorium nachvollziehen läßt, wandern die heraldischen Zeichen gelungener Adelsproben und mit ihnen der herzogliche Macht- und Legitimationsanspruch bis an die Landesgrenzen.

Besonders prägnant greifbar wurde die Strategie der Raumbesetzung auch in Steffen Krämers (München) Analyse des Chorneubaus der ehemaligen Stiftskirche von Bristol. Denn die einzelnen Familiengrabstätten der Lords of Berkeley an den dortigen Innenseiten der Außenwände wurden konsequent nach den beiden Himmelsrichtungen alternierend besetzt und „umfingen“ so den gesamten Chorraum sukzessive von Norden und Süden. Indem der ausführende Künstler sich in diesen Partien seines Chorbaus auf das Repertoire königlicher Schloß- und Hallenbauten bezog, stiftete er, so Krämers These, eine betont weltlich konnotierte Memoria im sakralen Raum. Die außergewöhnlichen und bislang als Launen eines unbekannten Künstlergenies interpretierten Formgebungen erschließen sich damit als gezielte Rückgriffe auf formale Vorbilder aus dem weltlichen Machtbereich.

Repräsentative Übertrumpfung post mortem war eine Strategie, die unterschiedliche formale Ausprägungen erfahren konnte. Ein besonders prägnantes Beispiel bietet ein neapolitanisches Grabmal in San Domenico Maggiore: Dort wurde im achtzehnten Jahrhundert ganz ostentativ das Grab des Feldherrn Nicola Sangro auf das aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammende des Placido Sangro gepfropft, um die repräsentative Veredelung der Grablege im Sinne des später Verstorbenen sinnfällig zu machen.

Doch auch prononcierte typologische und stilistische Bezugnahmen auf Vorgängermonumente konnten Ausdruck von Konkurrenzdenken und Überbietungsstreben sein. Eine höchst spannende Fallrekonstruktion dieser Art präsentierte Florian Blunk (Dresden/Paris) am Beispiel des frühesten der von Erwin Panofsky so bezeichneten Doppeldeckergrabmäler in Saint-Denis. Blunk interpretierte das Grabmal von Ludwig XII. und Anne de Bretagne, das vor allem durch die expressive Darstellung der toten Körper im unteren Register schaurige Berühmtheit erlangt hat, als einen prononciert vorgetragenen Erbanspruch auf Mailand. Indem die formale Gestaltung des Grabmals sich explizit auf das Grab von Gian Galeazzo Visconti in der Kartause von Pavia bezieht, wird insbesondere nach dem realpolitischen Scheitern von Francois I, dem Auftraggeber des Grabmals, im Desaster von Pavia dieser Anspruch in einer Art Denkmalkrieg ausgefochten.

Blunk leitete seinen Vortrag mit kritischen Bemerkungen zur These von Ernst Kantorowicz über die beiden Körper des Königs ein – eine Kritik, die mittlerweile zum guten Ton der Grabmalforschung zu gehören scheint wie vormals die allgegenwärtige Zweikörperfloskel selbst in Überschriften des gehobenen Feuilletons. Ob freilich das Fehlen von königlichen Insignien und der hohe Grad der Individualisierung der beiden knienden Porträtfiguren schon ausreicht, um die These einer Darstellung des unsterblichen Königsamtes zu kippen, sei dahingestellt.

Mit einem anderen, diesmal dem genuin französischen Kontext entspringenden Vorbild für das Grabmal in Saint-Denis beschäftigte sich Alexander Markschies (Aachen). Formulierte das Grabmal Ludwigs XII. den Anspruch der französischen Krone auf das Herzogtum Mailand, so strebte das Grab, das Anne de Bretagne in Nantes für ihre Eltern, Francois II und Marguerite de Foix, errichten ließ, nach noch Höherem: Mit ihm sollte die prätendierte Königsgleichheit der bretonischen Herzöge petrifiziert werden.

Insgesamt zeichnete sich die monarchisch strukturierte Leitkultur im französischen Kontext als aufschlußreiche und noch näher zu untersuchende Kontrastfolie für die römisch-päpstlichen Grabmäler ab, wie auch der Beitrag von Caroline Behrmann (Berlin) zu Pariser Kardinalsgräbern verdeutlichte. Auch dies war ein anregendes Ergebnis der Tagung, das sicherlich in die weiteren Forschungen des Requiem-Projekts einfließen wird.