Tagungsbericht „Das Grabmal des Günstlings“
für H-ArtHist von Laura Goldenbaum, Kunsthistorisches Institut in Florenz, 19. Juli 2009
Seit nunmehr acht Jahren beschäftigt sich das Forschungsprojekt „REQUIEM – Die Papst- und Kardinalsgräber der Frühen Neuzeit“, unter der Leitung von Horst Bredekamp (Berlin) und Volker Reinhardt (Fribourg), mit der quellenkundlichen Erfassung und Erforschung frühneuzeitlicher Papst- und Kardinalsgrabmäler. Darüber hinaus hat es beharrlich versucht, die Zusammenhänge zwischen dem Monument und seinem spezifisch kulturhistorischen Hintergrund, aber auch den jeweiligen gesellschaftlichen Figurationen herzustellen, von denen die Auftraggeberinteressen in so hohem Maße abhängen. Es ging nie allein um das nackte Objekt des Grabmals, sondern um eine Analyse seiner Struktureigenschaften, die die politischen Spielregeln frühneuzeitlicher Gesellschaften einsichtig machen.
Das Grabmal der vielschichtigen und nicht nur im klerikalen, sondern ebenso im weltlichen Herrschaftsbereich zu findenden Figur des Günstlings, deren Wesensart „redlich und aufrichtig seyn“ muss [1] und die in ihrem „äußeren Wohle in ganz besonderer Weise gefördert“ [2] und damit angreifbar wird, war Gegenstand der Tagung. In besonderem Maße spiegelt das Grabmonument die symbolische Funktion des Günstlings als ein Herrschaftsinstrument, seine Relevanz für den Staatsbildungsprozess und die Regentschaftsorganisation im Europa des 17./18. Jahrhunderts wider. Bindungslos, unermüdlich dienend und absolut loyal – letztlich vermochte niemand den hegemonialen Anspruch des Souveräns anschaulicher werden zu lassen als der Günstling selbst, ob gescheitert oder bis zu seinem Ende in hohen Ehren stehend.
Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte sich das Tagungskollegium als Ziel gesetzt, Elemente einer Typologie des Günstlingsgrabmals herauszuarbeiten und damit, über den Anspruch einer Bestandsaufnahme in Form von Einzelstudien hinaus, eine allgemeingültige Aussage über seine Formensprache treffen zu können. Das Bedürfnis, über ausgewählte, exemplarische Darstellungen den Zugang zu einer Übersicht, einer Kategorisierung von Merkmalen zu finden, zog sich als roter Faden durch das Programm und wurde vor allem in der Diskussion, im Anschluss an die Tagungsbeiträge, sinnstiftend. Vielfalt und Divergenz der zu berücksichtigenden Aspekte bei der Annäherung an ein Grabmal betonten jedoch oftmals eher Unterschiede und Widersprüche und verstellten häufig den Blick auf grundlegende Gemeinsamkeiten. Die Vielgestaltigkeit der gunstabhängenden Position, die sich ebenso im Formenreichtum der bildlichen Präsentation offenbart, macht die Komplexität dieser Thematik und die Schwierigkeit einer systematischen Annäherung offensichtlich.
Allein drei Abhängigkeitsmodalitäten lassen sich für den repräsentativen, darstellenswerten Habitus des Günstlings in Bezug auf sein Grabmal festmachen, die als Struktureigenschaften in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen: Einerseits der Wunsch nach formaler Abgrenzung, geschuldet dem hohen Konkurrenz- und Bewährungsdruck und dem Schwebezustand permanenter Destabilisierung, andererseits der vor allem in den Inschriften aufscheinende soziale Weltbezug, den Status und Rang verdeutlichen, drittens die Affinität für objektivierte und allgemeingültige herrschaftlich konnotierte Formenmerkmale, die in sichtbarer und beständiger Weise die Zugehörigkeit zur höfischen Gesellschaft und die Nähe zum Zentrum der Macht demonstrieren. In diesem Zusammenhang scheint auch die Sektionsbildung der Tagung nach geografischen Bezugspunkten logisch und konsequent.
Die erste Sektion „Frankreich“ eröffnete der Vortrag von Christine Tauber. Sie stellte das Grabmonument des einflussreichsten Beraters Charles V. und Kurienkardinals Jean de La Grange (um 1325/30-1402) vor, das vielleicht größte Grabmonument des gesamten Mittelalters. Die Selbststiftung als „legitimatorische Autobiographie post mortem“ könne in ihrer Prachtentfaltung, ihrer „hypertrophen und monarchistischen Ikonographie“, einer deutlichen Überinstrumentierung der Grabskulptur sowie der Bedeutungsüberlagerung des architektonischen Aufbaus mit zeitgenössischen Papstgrabmälern konkurrieren. Der übersteigerte Zeicheneinsatz wurde als ein Indiz für Legitimationsprobleme eines machtbewussten „homo novus“ erkannt, ein Phänomen, das besonders die Grabmonumente gescheiterter Günstlinge beträfe.
Gabriela Reuss sprach über das monumentale Grabmal Antoine Duprats, eines Protegés Papst Clemens VII. de‘ Medici (1523-1534) und gleichermaßen Favorit Franz‘ I., im Chor der Kathedrale Saint-Ètienne, im Machtzentrum seines Erzbistums Sens. Auffällig sei die Affinität zum Monumentalgrab, dessen Ikonographie an französische Königsgrablegen angelehnt ist. So sei das Monument Roberts I., mit seiner reliefierten Registerfront, das Vorbild für das Grabmal Jean de La Granges gewesen, während Antoine Duprats Grabmal jenes für Ludwig XII. reflektiere.
Sigrid Ruby widmete sich der massiven, zudem gedoppelten, memorialen Selbstinszenierung der Diane de Poitiers, Favoritin Heinrichs II. Das Lavierende, Austarierende der ikonographischen Bildmittel zeige gerade an diesem Beispiel sehr deutlich die heikle, besonders angreifbare Situation eines weiblichen Günstlings. Die Favoritin müsse dem unbedingten Grundsatz für den Habitus eines Günstlings schlechthin folgen, auf den Horst Bredekamp nachdrücklich verwies: „interesselos, treu, frei“ zu sein. Julian Blunks Vortrag über die Portalgrabmäler des Ehepaars Guillaume Fouquet de la Varenne beschloss die Frankreich-Sektion. In ihrer Disposition unmittelbar unterhalb der Herzgrabmäler ihrer Gönner Heinrich IV. und Maria von Medici, in der Jesuiten-Abtei La Flèche, erfüllen sie alle der drei entwickelten Kriterien für die Darstellungsmodalität von Günstlingsgräbern.
Die zweite Sektion „Der Kaiserhof und das Reich“ eröffnete Inga Brinkmanns Referat über Begräbnisrecht und Grabmalsetzung im würzburgischen Raum als Zeichen gegenreformatorischer Politik. Philipp Zitzlspergers Beitrag widmete sich dagegen den zwei ehrgeizigen und für das Habsburgische Reich singulär bleibenden Selbststiftungen, den Wandgrabmälern für Herz und Leichnam des gestürzten Günstlings Kaiser Matthias¹ und Kardinals Melchior Khlesl, im Stephansdom sowie im Dom der Wiener Neustadt, deren römisches Vorbild, das Wandgrabmal für den Kardinal Ottavio Bandini (1558-1629), ebenfalls ein Entwurf des Bildhauers und Bernini-Konkurrenten Giuliano Finelli, erstmals benannt werden konnte.
Mark Hengerer sprach über die Grablegen österreichischer Favoriten in Wien und Umgebung im 17./18. Jahrhundert und versuchte, den „Verschleierungsbegriff“ ‚Günstling‘ konkreter zu fassen, indem er signifikante „Günstlingsmerkmale“ zusammentrug sowie anhand einer Fülle von Beispielen unterschiedlichster Günstlingsgrablegen formale Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeitete. Indikatoren für Günstlingsgrabmäler sind demnach eine auffällig zur Schau gestellte Herrschernähe durch die Verortung des Monuments sowie dessen direkte Bezugnahme über Ikonographie und Formensprache.
Die Grundlage der memorialen Bildsprache innerhalb der folgenden Rom-Sektion war die besondere Herausstellung einer speziellen Herrschaftsnähe, die sich aus dem Spannungsverhältnis von Dynastiebildung und Wahlmonarchie der Päpste ergibt. Im Anschluss an Almuth Kleins Beitrag über die Grabkrypta Carlo Borromeos im Mailänder Dom widmete sich Thomas Pöpper dem heute nicht mehr erhaltenen Grabmal der Vanozza de‘ Catanei, Favoritin und Geliebte des Kardinals Rodrigo Borgia, 1492-1503 Papst Alexander VI., in S. Maria del Popolo in Rom.
Das Diktat der familiären Rollenerfüllung domestiziert die Funeralmonumente der normativ schwer fassbaren Gruppe der Kardinalnepoten im Rom der Frühen Neuzeit, so die Kernthese des Beitrags von Arne Karsten. Die Einflussnahme der Nepoten am päpstlichen Hof habe in aller Regel mit dem Tod des Familien-Pontifex geendet, vollkommen disfunktional wäre demnach die bewusste Setzung einer symbolischen Konkurrenz zum Papst, mittels eines eigenständigen Memorials für den oder die Neffen gewesen.
Dass Günstlingsgrabmäler an Aufwand und künstlerischer Qualität durchaus mit Königsgrablegen konkurrieren konnten, belegen nicht allein die Monumente aus dem französischen Raum. Die Relevanz der Herrschernähe, die auf konzeptioneller, formaler und ikonographischer Ebene explizit wird, erfuhr in Spanien jedoch eine Steigerung, aufgrund des kostbaren, herrschaftssymbolisch aufgeladenen Materialeinsatzes. So sprach Katrin Zimmermann über das ehrgeizige Grabmalsprojekt des Manuel de Zúñiga Acevedo y Fonseca, Graf von Monterrey, in Salamanca und Hillard von Thiessen über das prachtvolle Grabmonument des Kardinals Lerma von Pompeo Leoni aus vergoldeter Bronze, ein Werkstoff, der, bis auf wenige Ausnahmen, nur weltlichen herrschaftlichen Grabmälern vorbehalten war. Das anschließende Co-Referat Judith Ostermanns über das Grabmonument Alvaro de Lunas, gescheiterter und auf königlichen Befehl hingerichteter Günstling Johanns II., vermochte dieses Phänomen der imitatio regis noch einmal zu untermauern und gleichzeitig die gefährliche Gratwanderung jener Aneignung, ja Einverleibung der herrschaftsideologisch besetzten Symbolik deutlich zu machen.
Die Fülle an Beobachtungen und Überlegungen wurde am Ende der Tagung durch die zusammenfassenden Bemerkungen von Birgit Emich stringent gebündelt. Sie trennte drei große Themenbereiche der Tagungsbeiträge voneinander:
1) Bemühungen um eine Typologisierung des Günstlingsgrabmals, trotz der aufgezeigten Vielfalt des Materials und damit zusammenhängend, der gesellschaftlichen Gruppe des Günstlings der Frühen Neuzeit, eng geknüpft an eine, von Fall zu Fall zu entscheidende, notwendige Klärung des Verhältnisses von Individualität und Gruppenidentität.
2) Ansätze einer Herausarbeitung von Ikonographie sowie formaler Kriterien des Günstlingsgrabmals, das vor allem das Amt und den sozialen Status als Basis der Macht und der Nähe zum Herrscher, oftmals mit Hilfe von Inschriften, propagiert.
3) Die insgesamt etwas unterbelichtet gebliebene und sicher am schwersten zu beantwortende Frage nach der Funktion und der konkreten Bedingung der Grablegen. Wichtig in diesem Zusammenhang wäre die Klärung ihrer weitläufigen und vielseitigen zeremoniellen Einbindungsmöglichkeiten und ihrer rechtlichen Rahmenbeschränkungen: „Wo liegt die Krise begründet, auf die das Grabmal antwortet?“ – eine Frage, die sich am Ende der Tagung dringender denn je gestellt hat; kein geringer Erfolg.
Anmerkungen:
[1] Johann Georg Krünitz: Oeconomische Encyclopaedie oder Allgemeines System der Land-, Haus- und Staats-Wirthschaft, Berlin 1773-1868, Theil 20 (1780), S. 356.
[2] Johann August Eberhard: Synonymisches Handwörterbuch der deutschen Sprache, 17. Auflage, Leipzig 1910, Nr. 967.
H-ARTHIST – REV-CONF: Das Grabmal des Günstlings (L. Goldenbaum)