Apr 162010
 

Tagungsbericht

„Grabmal und Identität – Geschlechterbilder in der Sepulkralkultur“

Humboldt-Universität zu Berlin, 5. Februar 2010

Tagungsbericht von Julian Blunk – 16. April 2010

Die am 5. Februar 2010 in der Berliner Heilig-Geist-Kapelle von Mitgliedern des Requiem-Projekts der Humboldt-Universität zu Berlin veranstaltete Kurztagung „Grabmal und Identität – Geschlechterbilder in der Sepulkralkultur“ verschrieb sich einem innerhalb des wissenschaftlichen Kerngeschäfts der Forschungsgruppe, der systematischen Aufnahme und Analyse römischer Kardinals- und Papstgrabmäler, per definitionem noch wenig beachteten Gegenstand: Der Rolle des Geschlechts in der Begräbniskultur der Frühen Neuzeit.

Nach der Begrüßung durch die Organisatorinnen Alrun Kompa und Anett Ladegast führte Horst Bredekamp mit einer erstaunlichen Beobachtung ins Thema ein: Selbst die frühneuzeitliche sepulkrale Denkmallandschaft der exklusiven Männergesellschaft des hohen Römischen Klerus’ gebe sich bei näherer Betrachtung schnell als ein „Eldorado dominanter Frauen“ zu erkennen. Wurde die Frau in dieser auch nicht als Individuum memoriert, konnte auch oder gerade in den figürlichen Programmen prominenter Papstgrabmäler (Sixtus IV., Julius II., Paul III.) eine umso üppigere weibliche Geschlechtlichkeit zur Schau gestellt werden. Insbesondere in Gestalt der Allegorie emanzipierte sich die Frau dabei immer wieder von allzu servilen Bindungen an die männlichen Figuren der Verstorbenen, zu deren Verherrlichung sie angetreten war, um mitunter ein „furioses Eigenleben“ zu entfalten.

Im Anschluss führte der Beitrag „Geschichte und Geschichten einer Familie: Die Memoria der Barberini in Palestrina“ von Alrun Kompa zunächst ebenfalls in eine reine Männerwelt zurück. Kompa entwarf das Bild einer kompensatorischen Denkmalpolitik Kardinal Francesco Barberinis d. J. († 1738), eines Urgroßneffen Urbans VIII., dessen Familie dem Aussterben ihrer männlichen Linie sowie dem drohenden „Ausverkauf“ ihres Fürstentums Palestrina durch Francescos Bruder Urbano ins Auge zu sehen hatte. Francescos Versuch, dem Niedergang der Barberini zumindest auf bildkünstlerischer Ebene zu begegnen, bestand in der Verlagerung der Familiennekropole aus S. Andrea della Valle in Rom nach S. Rosalia in Palestrina. Seine dort gestifteten, von Bernadino Cametti realisierten Grabdenkmäler beschränkten sich auf das in Genderfragen „zu Erwartende“, nämlich auf die Memoria allein der männlichen Linie, appellierten ebenso eindrücklich wie erfolglos an die Eintracht kommender Barberini-Generationen und wurden später von gleicher Künstlerhand um ein weiteres, höchst ungewöhnliches Monument ergänzt: In einer der Cornaro-Kapelle Berninis verpflichteten Logenarchitektur tragen männliche Figuren zwar die Insignien zweier die Familiengeschichte der Barberini prägender Ämter zur Schau (Präfekt der Stadt Rom, Kardinal), verweigern sich aber – planvoll, so Kompa – als anonyme Amtskörper ihrer konkreten Identifizierung. Auch in Palestrina, so wurde vor allem in der Diskussion deutlich, erweist sich das Bild einer allein aufs männliche Geschlecht reduzierten Erinnerungspolitik schnell als trügerisch. Wurde eine bildkünstlerische Memoria der weiblichen Mitglieder der Familie Barberini auch konsequent ausgespart, konnten Frauen auf den Grabmonumenten der Männer in Gestalt von Allegorien einmal mehr die heimlichen Hauptfiguren der Bildprogramme stellen – eine Konstellation, die sich sicher bereits im Vortrag etwas deutlicher in den Fokus hätte stellen lassen.

Kontrovers diskutiert wurde Laura Goldenbaums Vortrag „anima forma corporis – oder: Ästhetik des Vollendeten“. Goldenbaum besprach die heute im Florentiner Bargello befindliche und ins späte Quattrocento datierte Bronzebüste einer „Incognita“, die von der kunsthistorischen Forschung aufgrund eines vermeintlichen Zuviels an „Dokumentarismus“ und eines ebensolchen Zuwenigs an „Kunstwollen“ zunächst herabgewertet und schließlich vergessen wurde. Beide Urteile konnten über die Engführung von formaler Analyse der wahrscheinlich auf Basis einer Totenmaske gearbeiteten Büste und den neothomistischen physiognomischen Diskursen am Hof der Medici, die in Marsilio Ficino einen ihrer prominentesten Vertreter gefunden hatten, entschärft werden: Offenbarte sich gemäß zeitgenössischer Typenlehren die Seele des Menschen in seiner Erscheinung, so materialisierte sich in der auch für die Büste formgebenden Geometrie von Dreieck und Kreis der „intelligible Plan Gottes“. Gemäß gelungener Ehrenrettung der „Incognita“ erklärte die Referentin die noch immer unbeantworteten Fragen nach Zuschreibung und Identität der Dargestellten (Witwe/Nonne) zur „Nebensache“. Und doch nahm die Diskussion vornehmlich letztgenannte Spuren auf, um schließlich gar die Datierung der allzu „barocken“ Figur ins Quattrocento und mit ihr die gesamte Argumentationslinie Goldenbaums in Zweifel zu ziehen. Dass auch diese Frage letztlich ungeklärt blieb, warf ein möglicherweise umso erhellenderes Licht auf die Totenmaske als einem Präzedenzfall für die Kunstgeschichtsschreibung: Als zu jeder Zeit tendenziell ebenso naturalismusaffines wie „gestaltungsfeindliches“ Artefakt sperrt sich spätestens ein entsprechendes „opus incognito“ einer „Incognita“ recht hartnäckig gegen die herkömmlichen Methoden stilkritischer Datierungsverfahren.

Judith Ostermann widmete sich in ihrem Beitrag „Starke Witwen im frühneuzeitlichen Spanien oder: die Freiheit in der Trauer – Das Grabmal Juana Pimentels und der Aufstieg eines Adelsgeschlechts“ einer der ambitioniertesten Grabstiftungen Spaniens. Die beiden opulenten Freigräber Don Alvaros de Luna und seiner Witwe Juana de Pimentel in der Kathedrale von Toledo, die im Verbund mit der sie umgebenden Kapellenausstattung dynastische Heraldik und monastische Ikonografie zu einem homogenen Programm verschränkten, zielten, so Ostermann, ganz auf die politische Rehabilitierung Don Alvaros: Nach einer steilen Günstlingskarriere unter Johann II. hatte dieser zunächst zu politischer Macht gelangen können, war daraufhin jedoch in Ungnade gefallen und zum Tode verurteilt worden. Im Kampf um das Erbe der Eltern galt es deshalb für Alvaros Witwe Juana und beider Tochter Maria Pimentel, mittels ihrer Grabstiftungen in Toledo das väterliche Image der politischen Hybris in ihr Gegenteil umzukehren.

Anett Ladegast setzte sich in ihrem Vortrag „Das Geschlecht der Erinnerung – Frauenfrömmigkeit und Grabmalskultur in S. Agostino, Rom“ das anspruchsvolle Ziel, den „Grabmalskosmos“ der im 15. Jahrhundert neu erbauten und seither als Nekropole genutzten Augustinerkirche als Ganzes in den Blick zu nehmen, um die gesellschaftliche Rolle der Frau in der Sepulkralkultur der Frühen Neuzeit auszuloten. Dabei diente ihr neben der exemplarischen Untersuchung einzelner Grabmäler insbesondere eine quantitative Bestandsaufnahme des memorialen Denkmalensembles, um einen überraschend hohen Frauenanteil unter den Bestatteten und eine hohe weibliche Aktivität auch auf dem Gebiet der Patronage im 15. und frühen 16. Jahrhundert sowie einen geschlechtsübergreifenden Rückgang der Kirchenbestattungen infolge entsprechender Verordnungen des Konzils von Trient (1545-63) zu diagnostizieren. Explizit verwies Ladegast auf den Umstand, dass unser Bild frühneuzeitlicher Grabensembles vor allem aus Fehlstellen bestehe, die auch jenes diesbezüglicher Geschlechterrollen mitunter deutlich verunklären oder verschieben können. Als Parameter der „Gewährleistung von Erhalt“, so Ladegast, kämen in S. Agostino tendenziell das künstlerische Niveau eines Grabdenkmals wie auch der Rang eines Verstorbenen, nicht aber dessen Geschlecht in Betracht. Da in S. Agostino in der Frühen Neuzeit gerade Grabmäler von Frauen die künstlerischen Höhepunkte des sepulkralen Ensembles markierten (Costanza Ammanati † 1477, Pantalisia Grifi † 1527), wurde auch in der Diskussion noch einmal bestätigt, dass neben der Quantität stets auch die Qualität einzelner Monumente eines Referenzsystems in den Blick genommen werden müsse, um zu adäquaten Beurteilungen etwa der Rolle einer gesellschaftlichen Gruppe in dessen Binnensphäre gelangen zu können. Über beide Pfade jedoch wurde deutlich: Die Rolle der Frau in der Sepulkralkultur von S. Agostino war alles andere als marginal.

Aleida Assmanns Abendvortrag „Erinnerung und Trauer im Spiegel der Geschlechter“, der den Saal noch einmal spürbar füllte, verließ das Feld der Grabkunst, um jenes der ritualisierten Trauer zu betreten. In einem Streifzug durch die Kulturgeschichte der Menschheit (Altägypten, England der Reformation, Deutschland und Israel der Nachkriegszeit) lokalisierte Assmann zunächst „Archetypen weiblicher Trauer“ in der altägyptischen Götterwelt (Isis als trauernde Witwe von Osiris) und in der christlichen Religion (die Pietà, Maria als trauernde Mutter Jesu), die kulturelle Praktiken und diesbezügliche Geschlechterrollen determinieren konnten. So sei der Leib des Toten und die retrospektive Erinnerungs- und Trauerarbeit lange Domäne der Frau (etwa: Klageweiber), die der prospektiven Verwaltung von Namen und Fama eines Toten jene des Mannes gewesen. In Bezug auf Letztere stelle etwa Horus, der Sohn von Isis und Osiris, einen archetypischen Gegenentwurf zur trauernden Frau dar. Blieben zunächst sowohl die Trauer als die Verwaltung irdischen Nachruhms lange positiv konnotiert, brachte insbesondere die Reformation in England eine deutliche Zäsur mit sich, indem sie zwar nicht die geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen, wohl aber ihre Wertigkeit neu definierte. Mit der Abschaffung des Konzepts des Purgatoriums sei die Grenze zwischen Leben und Tod radikalisiert, mit der Aufgabe der altgläubigen Marienverehrung zudem auch die „Pathosformel der weiblichen Trauer“ marginalisiert worden. Demgemäß traten etwa in Shakespeares Dramen nun rachsüchtige „Furien des Erinnerns“ anstelle der mit Übergangsritualen betrauten Frauen auf. In Folge des zweiten Weltkriegs habe das Motiv der trauernden Frau eine neuerliche Renaissance erlebt. Während es in Deutschland jedoch einer „Privatisierung und Verwässerung“ unterlag, machte die israelische „Erinnerungsgesellschaft“ die Memoria bald schon zur Sache des Mannes und schrieb der Frau das Vergessen zu.

Hätte man sich – umso mehr vor dem Hintergrund der thematischen und methodischen Heterogenität der gebotenen Beiträge – auch eine Abschlussdiskussion über das Allgemeine im Besonderen wünschen mögen, so gewährte die gelungene Tagung doch nicht nur einen Einblick in das Erkenntnispotential der Kategorie „Geschlecht“ in der Grabmals- und Erinnerungskultur, sondern riss immer wieder auch mögliche allgemeingültige Tendenzen an: So erhielten Frauen (wie Männer) als historische Personen in der Regel nur dann ein repräsentatives Erinnerungsmal, wenn sie im Leben – ob nun vom Erbrecht begünstigt oder aus anderen Gründen – selbst zum politischen Akteur oder zum Politikum geworden waren. Als Ausnahme von der Regel bestätigen somit auch die durch Grabmäler memorierten wie die durch Grabmäler memorierenden Frauen der Geschichte die enge Bindung von Erinnerung und (meist männlich dominiertem) politischem Tagesgeschäft. Dass sich die Frau „als solche“ in den Bildprogrammen der Grabmäler von Männern einer mitunter erheblichen Präsenz erfreuen konnte, wurde mehrfach als kausale Folge respektive als Kehrseite der weitestgehenden Rollenlosigkeit des weiblichen Geschlechts im politischen Erinnerungsspiel patriarchaler Gesellschaften vorgeschlagen: Gerade das „semantische Vakuum“ der weiblichen Figur musste immer wieder zu deren allegorischer Kodierung einladen. Allemal hat sich gezeigt: Über Charakter, Qualität und Durchlässigkeit geschlechtsspezifischer Sphären- oder Rollenzuweisungen, verlaufen deren Grenzen nun zwischen Historie und Allegorie oder zwischen Perspektive und Retrospektive, darf und sollte weiter gesprochen werden.

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