Apr 162010
 

Tagungsbericht: Grabmal und Körper. Zwischen Repräsentation und Realpräsenz in der Frühneuzeit

16.04.2010, Berlin, in: H-Soz-u-Kult, 12.06.2010, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3149.

Bericht von: Olaf B. Rader, Monumenta Germaniae Historica, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

„REQUIEM – Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler der Frühen Neuzeit“ zählt zweifellos zu den aktiveren Forschungsprojekten in der deutschen Wissenschaftslandschaft der letzten Jahre. Davon zeugt nicht nur eine im Internet frei zugängliche, beständig wachsende Datenbank zu den päpstlichen- und kardinalizischen Forschungsobjekten[1] und eine Fülle von Publikationen (soeben ist ein Band zu Kardinalskapellen der Frühen Neuzeit erschienen)[2], sondern auch eine in ihrer Frequenz wie thematischen Bandbreite eindrucksvolle Reihe von Tagungen zum Arbeitsfeld „Tod und Erinnerungskultur“[3].

In diesem Kontext fand am 16. April 2010 das Kolloquium zum Thema „Grabmal und Körper“ am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität statt. In seiner Einführung umriss der Projektleiter HORST BREDEKAMP (Berlin) noch einmal die Grundthese der Projektarbeit, dass die Art und Form der Grabmäler von den Nachfahren bestimmt werden und so ihre Orientierung auf die Zukunft offenbaren.

PHILIPP ZITZLSPERGER (Berlin) verfolgte in seinem Vortrag „Formenwandel und Körperwanderung in Rom – Vom Kardinalsgrabmal zum Kenotaph“ verschiedene Entwicklungsstränge römischer Kardinalsgrabmäler im 16. Jahrhundert. Die Haupttendenz im Zeitalter der katholischen Reform ging, wie er zeigen konnte, vom Grabmal zum Scheingrab: Während vor 1550 Grabmal und sterbliche Überreste noch eine Einheit bildeten, wurden sie im Zeitalter nach dem Konzil von Trient zunehmend getrennt. Zudem wurde das sepulkrale Kardinalsporträt im Laufe der Entwicklung zwischen 1500 und 1600 immer „belebter“, erst in Form eines Demigisant auftretend, dann, ab 1550, setzte sich die regelrechte Porträtbüste durch. Das posttridentinische Kardinalsgrabmal erscheint damit als ein „Altargrabmal“, dass zudem mit einer belebten Porträtbüste des Verstorbenen versehen ist. An Zitzlspergers Ausführungen schloss eine Debatte um die zentrale Frage an: Worauf bezog sich eigentlich das Gebetsgedenken? Und woran kristallisieren sich letztendlich die Erinnerungen? An den realen sterblichen Gebeinen, oder an den Scheingräbern? Da zwischen 1500 bis 1600 viele Grabdenkmäler sich formal immer mehr einem Altar annäherten, könnte man eigentlich von „einer Art Mimikri sprechen“ wie Arne Karsten in der angeregten Diskussion anmerkte, und im Hinblick auf mögliche Auftraggebermotive vor dem Hintergrund massiver theologischer Kritik am Grabmal nach dem Reform-Konzil von Trient zuspitzte: „Wir tarnen das Grabmal als Altar, dann wirkt es theologisch korrekter und fällt nicht so stark als Gegenstand familiärer Selbstdarstellung in Auge!“

Im abschliessenden Beitrag führte ANETT LADEGAST (Berlin) unter dem Titel „Gesichter des Todes – Gesichter des Lebens. Zum Verhältnis von Körper und Portrait an römischen Grabmälern um 1500“ aus, dass die Jahrzehnte um das Jahr 1500 eine Schlüsselstelle für die Entwicklung des römischen Grabmalsporträt darstellten. Die Veränderungen der Grabmalsgestaltung zwischen Gotik und Frührenaissance hatten noch vor allem in einem stilistischen Wandel bestanden, der die Architektur und Ornament der Grabmäler betraf, weniger aber Figurenprogramm oder Porträttypus. Der auf Bahre oder Sarkophag liegende Gisant bildete auch in der Frührenaissance das Zentrum der Wandgrabmäler. Erst zum Ende des 15. Jahrhunderts fand mit der nach antikem Vorbild gestalteten Büste eine neue Porträtform Eingang in die römische Sepukralskulptur, welche ein völlig neues Bildkonzept mit sich brachte. Mit dem Aktivierungsprozess der Porträtdarstellungen über Demigisants bis hin zur aufrecht thronenden Ehrenfigur entstanden vielfältige Porträtformen, welche zwischen der Darstellung des Verstorbenen als Ganzfigur oder Büste, als tot, schlafend oder aktiv und hochlebendig variierten.

JUDITH OSTERMANN (Berlin) zog in ihren Ausführungen „Das tote Grabbild eines Regenten und Reformers – Simulacrum des verehrten Körpers. Kardinal Francisco Ximenez de Cisneros (1436–1517)“ den Vergleich mit Spanien. Der berühmte Kardinal, Erzbischof von Toledo, Großinquisitor sowie Regent von Kastilien, eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im frühneuzeitlichen Spanien, erhielt nach seinem Tod eines der teuersten Grabmäler in der Geschichte der spanischen Sepulkralkunst. Es ist formal und entstehungsgeschichtlich so eng mit jenen Monumenten verbunden, die zuvor für die Katholischen Könige in Avila und Granada ausgeführt worden sind, dass das Grabmal in Alcalá de Henares den Kardinal offenbar in eine Reihe mit der königlichen Familie stellen sollte. Doch obwohl der Kirchenfürst eine Art Herrschergrabmal bekommen hatte, ließ der Beginn eines Heiligenkults um seine Person einen heftigen Streit um den Bestattungsort und den Besitz der Knochen aufkeimen. In der anschließenden Diskussion ging es darum, ob dieses Phänomen die Diskrepanz zwischen den Auffassungen der Volksfrömmigkeit und der theologischen Grundlagen zeigt. Und: Wenn die Bilder die Körper ersetzen sollen, warum streitet man sich dann noch um die Knochen?

LAURA GOLDENBAUM (Berlin/ Florenz) sprach über den „Bronzegisant des Mariano Sozzini (gest.1467)“, der aufbewahrt im Florentiner Museo Nazionale del Bargello, zuallererst das Bild eines Leichnams, eines individuell benannten und auf Grund seiner Kopfbedeckung als Amtsperson des Juristen gekennzeichneten Toten ist. Nach dem heutigen Wissensstand kann diese Grabfigur Sozzinis als die erste in Bronze gefertigte Abbildung eines Toten gelten, die zweifellos mit Hilfe der Integration von Körperabdrücken des Leichnams in das Gussmodell realisiert wurde. Dieser Zusammenhang zwischen Gussmaterial und Totenmaskenreferenz sollte seitdem zum festen Kanon für nachfolgenden Gisants werden. Der Vortrag widmete sich zudem der Frage, auf welche Weise bei der Grabfigur Mariano Sozzinis der Körper selbst zum Zeichenträger geworden war.

Einen spektakulären Vergleich der römischen Sitten mit dem Protestantismus entwickelte RUTH SLENCZKA (Berlin) in ihren Ausführungen. Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen gab nach dem Tod Martin Luthers 1546 ein Bronzegrabmal in Auftrag, das in der Formensprache nicht an den Professorengrabmälern in der Wittenberger Schlosskirche, sondern an den dort befindlichen Kurfürstengräbern aus der Nürnberger Vischerwerkstatt orientiert war. Doch die Pointe: Dieses Grabmal kam erst 23 Jahre nach seiner Fertigstellung zur Aufstellung und zudem gar nicht am geplanten Ort, sondern in Jena. Dabei erfuhr das Bildnis des Reformators durch eine aufwendige Rahmenarchitektur, ein Gitter, eine Verglasung und eine Bemalung eine beispiellose Auratisierung. Und die historischen Hintergründe, die zur Trennung von Grabstätte und Aufstellungsort des Grabmals führten, erlauben zudem Rückschlüsse auf die Besonderheiten der reliquienartigen Inszenierung des Lutherbildnisses in Jena in ihrer konfessionellen Programmatik.

Den Abschluss gab KRISTIN MAREK (Karlsruhe/ Bochum), die im Sinne des von ihr und Thomas Macho herausgegebenen Band „Die neue Sichtbarkeit des Todes“ durch ihren Vortrag dem Verhältnis von Bild und Körper am Beispiel von Funeralien und Grabmonument von Eduard II. von England nachging. Dabei zeigte sich, dass Bild und Körper Kategorien darstellen, die sich nicht klar voneinander trennen lassen, sondern im Gegenteil sehr verwoben sind. Darum lässt sich auch die Frage von Bild und Körper am Grabmal nicht in eine klare Dichotomie auflösen: Bild oder Körper? Vielmehr bedingen Körper und Bild einander und überlagern sich vielfach. Und das schließt selbst auch den Leichnam mit ein, der nur eines von vielen möglichen Körperbildern darstellt. Körper, Verkörperung und Repräsentation sind darum keine bloßen Abstufungen bildlicher Präsenz, sondern vielmehr deren potentielle Erscheinungsweisen und Variablen dessen, was zum Körperbild wird. So arbeiten Effigies, Grabbild, Leichnam und lebender Körper daran mit, was schließlich posthum als Körperbild des Toten erscheint.

Die Tagung zog eine überaus perspektivenreiche Bilanz der aktuellen frühneuzeitlichen Grabmalsforschung, auch wenn und gerade weil deutlich wurde, dass das Problem, woran letztlich die Erinnerung haften: an der Materialität der sterblichen Reste oder nur am Grabdenkmal, noch lange nicht gelöst ist. Der Laborcharakter des REQUIEM-Projekts zeigt auch in dieser Hinsicht, wie Kunsthistoriker und Historiker erfolgreich aus Drittmittelprojekten und den über einen langen Zeitraum erfasste Massendaten wertvolles Wissenskapital schlagen können. Die Forschungsbilanz dieser Tagung bestätigt eindrucksvoll Horst Bredekamps Einführungsthese: „Das Grabmal lebt!“

Konferenzübersicht:

Horst Bredekamp: Begrüßung

Philipp Zitzlsperger: Formwandel und Körperwanderung in Rom – Vom Kardinalsgrabmal zum Kenotaph

Anett Ladegast: Gesichter des Todes – Gesichter der Lebenden. Zum Verhältnis von Körper und Porträt an römischen Grabmälern um 1500

Judith Ostermann: Das tote Grabbild eines Regenten und Reformers – Simulacrum des verehrten Körpers

Laura Goldenbaum: Der Zeugniswert des Körpers oder ‚anima forma corporis‘. Der quattrocenteske Bronzegisant des Sieneser Rechtsgelehrten Mariano Sozzini

Ruth Slenczka: Bemalte Bronze hinter Glas? Luthers Grabplatte in Jena 1571 als ‚protestantische Reliquie“

Kristin Marek: Erscheinungsweisen bildlicher Präsenz: Körper, Verkörperung und Repräsentation am Grabmal

Anmerkungen:

[1] http://www2.hu-berlin.de/requiem/db (07.06.2010).

[2] Arne Karsten und Philipp Zitzlsperger (Hrsg.), Vom Nachleben der Kardinäle. Römische Kardinalsgrabmäler der Frühen Neuzeit (Humboldt-Schriften zur Kunst- und Bildgeschichte X), Berlin 2010.

[3] Genannt seien nur die jüngsten Tagungen zum Thema „Das Grabmal des Günstlings“ im Mai 2009 hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2664 (07.06.2010) sowie „Grabmal und Identität. Geschlechterbilder in der Sepulkralkutur“ im Februar 2010 hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=13116 (07.06.2010).