Grabmäler – Tugenden

 

Allgemeines

Die vier Kardinaltugenden Temperantia, Prudentia, Fortitudo und Justitia tauchen bereits in der Antike, z.B. bei Aristoteles und Platon, auf. Schon Cicero und Macrobius vermehrten die Anzahl der Tugenden durch ein System der Unterteilung. Sie wurden von Gregor dem Großen (gest. 604) um die spezifisch christlichen Tugenden Spes, Fides und Caritas erweitert. Die italienische Kunst bevorzugte in Malerei und Plastik einen Zyklus aus sieben Tugenden, bestehend aus drei christlichen Tugenden und vier Kardinaltugenden. Unter Einbeziehung der Humilitas (Demut oder Niedrigkeit) in die christlichen Tugenden entstand aber auch eine den Kardinaltugenden entsprechende Vierergruppe. Die Vorstellung vom Kampf der Tugenden gegen die Laster wurde von Prudentius (348-405) in seiner Psychomachia dichterisch-dramatisch behandelt. Der Katalog der Tugenden wurde von Thomas von Aquin um spezielle intellektuelle Tugenden, wie die Sapientia (Weisheit), Scientia (Wissenschaft), Intellektus (Intellekt) oder Ars (Kunst) erweitert. (Solche intellektuellen Tugenden treten z.B. in Form der Allegorien der freien Künste am Grabmal Sixtus’ IV. della Rovere in S. Pietro in Vaticano auf.) Eine weitere Gruppe von Tugenden, von denen man annahm, sie seien durch die Gaben des Hl. Geistes inspiriert, wird u.a. gebildet von: Paupertas (Armut), Mansuetudo (Sanftmut), Benignitas (oder auch Bonitas, Güte), Misericordia (Barmherzigkeit) und Pax (Friede). Auf die nachmittelalterliche Darstellung der Tugenden wirkte nachhaltig Cesare Ripas Iconologia (1. Aufl. 1593) mit ihren Personifikationen und Attributen ein. Diese Attribute sind jedoch nicht unveränderlich, weswegen eine eindeutige Identifizierung der jeweiligen Tugenddarstellung nicht immer ganz zweifelsfrei ist.


Die drei christlichen Tugenden

  • Caritas (Liebe)

Die Caritas gilt als höchste der christlichen Tugenden. Sie wird unterschieden in Caritas Dei (Liebe von und zu Gott) und Caristas Proximi (Nächstenliebe). Als Caritas Proximi dem Laster der Avaritia (Geiz) gegenüberstehend, kann sie als gekrönte weibliche Figur mit einem Bettler, dem sie einen Mantel reicht, einer Schale mit Brot, einer Löwin mit Jungen, einem Pelikan oder Lamm und einem Herz, z.T. mit Flamme, dargestellt werden. In der italien. Kunst ist die klassisch gewandete Caritas mit Flamme, Füllhorn und Kindern (seit dem 14. Jh. die überzeugendsten Sinnbilder der Caritas Proximi) als Attribute besonders häufig. Beispiele einer Caritas, jeweils mit zwei Kindern, finden sich an den Grabmälern Urbans VIII. Barberini (S. Pietro in Vaticano), Alexanders VII. Chigi (S. Pietro in Vaticano) und Lorenzo Cibos (S. Maria del Popolo). Das Attribut des Füllhorns ist aber nicht eindeutig, da auch eine Abundantia (Überfluss) mit einem solchen dargestellt werden kann. In einem solchen Fall erschließt sich die Identität der Allegorie aus dem sie umgebenden Programm.

  • Fides (Glaube)

Weibliche Figur, die mit einem Idol, einem Häretiker oder auch der Synagoge unter ihren Füßen dargestellt werden kann. Typische Attribute sind der Kelch, mit dem sie das Blut Christi bzw. des Agnus Dei auffängt, manchmal mit einer Hostie darüber, weiterhin ein Kreuz, ein Buch, eine Schriftrolle, die Gesetzestafeln, eine Flamme oder Kerze, ein Herz oder ein Kirchenmodell. Nach Cesare Ripa kann Fides auch als Religio gedeutet werden. Beispiele finden sich an den Grabmälern Innozenz’ VIII. Cibo (S. Pietro in Vaticano, mit Kreuz und Kelch) und Girolamo Basso della Roveres (S. Maria del Popolo; mit Kreuz). Da alle Attribute der Fides ebenso Ecclesia (Kirche) und Religio (Religion) zugehörig sind, ist eine Identifizierung meist nur durch den Zyklus (Trias der theologischen Tugenden) oder das spezifische Programm, in welchem die Allegorie dargestellt ist, möglich. Ein Beispiel für die Unsicherheit der Bestimmung ist die Tugend am Grabmal Clemens’ XIII. Rezzonico (S. Pietro in Vaticano), bei der die Forschung ihre Identität noch immer nicht eindeutig festlegen kann, da das Kreuz als Attribut sowohl der Fides als auch der Religio oder der Ecclesia eigen ist.

  • Spes (Hoffnung)

Weibliche Figur mit erhobenen Armen (über der sich auch eine Krone oder die Gotteshand befinden kann) mit den vielfältig möglichen Attributen Taube, Vogel im Käfig, Biene oder Bienenstock, Zweig, Füllhorn, Schrift, Sichel und später häufig mit einem Anker. Beispiele sind die Grabmäler Lorenzo Cibos (S. Maria del Popolo, mit Flügeln und zum Gebet gefalteten Händen) und Girolamo Basso della Roveres (S. Maria del Popolo, mit nur nach oben gewendeten Blick und erhobenen Armen). Das Attribut des Füllhorns lässt allerdings keine eindeutige Bestimmung zu, da es ebenso der Abundantia (Überfluss) oder der Caritas (Liebe) eigen sein kann. Ein Beispiel ist die Allegorie der Abundantia, die am Grabmal Gregors XV. Ludovisi (Sant’Ingazio) ein Füllhorn hält.


Die vier Kardinaltugenden

  • Fortitudo (Stärke, Mut oder Standhaftigkeit)

Weibliche Figur, die meistens zu identifizieren ist an ihrer Waffenrüstung und dem Schild oder einem Löwenfell und einer Säule als Attribut. Beispiele sind die Grabmäler Martinez de Chiavez’ (S. Giovanni in Laterano, mit Säule und Rüstung) und Girolamo Basso della Roveres (S. Maria del Popolo, mit Schwert, Löwenfell und Waffenrock).

  • Justitia (Gerechtigkeit)

Weibliche, teilweise gekrönte Figur mit den Attributen Waage (schon in der Antike als Zeichen der Grenzfindung zwischen Recht und Unrecht) und Schwert (ebenso bereits seit der Antike Symbol der strafenden Gerechtigkeit, seit dem 13. Jh. regelmäßig neben der Waage), die seit etwa 1500 auch mit Augenbinde (zunächst Spottbild für die Blindheit der Justitia, erst ab ca. 1530 stets Bedeutung der Unparteilichkeit) dargestellt wird und außerdem mit einem oder mehreren Gesetzesbüchern, Weltkugel (als Sinnbild für Macht), Adler, Vogel Strauss (wegen der gleich langen Federn für den Aequitas-Charakter der Justitia stehend), Kranich (für Wachsamkeit), Faszienbündel (altrömisches Rutenbündel für Strenge) oder Winkelmaß in Erscheinung treten kann. Sie tritt im Gegensatz zu den anderen Tugenden sehr oft einzeln auf, häufig ist der strengen Justitia aber auch die Misericordia (Milde oder Barmherzigkeit), Benignitas (Güte) oder die Caritas (Liebe) gegenübergestellt. Beispiele sind die Grabmäler Urbans VIII. Barberini (S. Pietro in Vaticano, mit Schwert und Faszienbündel), Innozenz’ VIII. Cibo (S. Pietor in Vaticano, mit Schwert und Weltkugel) und Lorenzo Cibos (S Maria del Popolo, mit Schwert und Waage).

  • Prudentia (Klugheit, Umsicht), auch als Sapientia (Weisheit) zu finden

Weibliche Figur, z.T. verschleiert, die mitunter zwei oder drei Gesichter haben kann. Mögliche Attribute sind der Spiegel zur Selbsterkenntnis, drei Bücher als Verweise auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ein Januskopf, ein Zirkel, ein Geldsack, ein Sieb oder ein Schild mit den Leidenswerkzeugen. Beispiele sind die Grabmäler Pauls III. Farnese (S. Pietro in Vaticano, Prudentia mit maskiertem Spiegel und Gesetzesbuch) und Jules Mazarins (in Paris, mit Spiegel, Schlange, Zepter und Weltkugel). Das Attribut des Geldsackes ist einer eindeutigen Bestimmung allerdings nicht dienlich, da es ebenso der Abundantia (Überfluss) zugehörig sein kann. Ein Beispiel findet sich am Grabmal Leos XI. de Medici (S. Pietro in Vaticano, Abundantia mit Geldsack).

  • Temperantia (Mäßigkeit)

Meist weibliche Figur, die an den Attributen Messgerät, Zirkel, Zügel, Sanduhr, Kanne, Mischpokal für Wein und Wasser erkennbar wird. Selten treten auch ein umwickeltes Schwert, ein Augenglas oder Sporen, sowie ein Palmzweig und die zwei symbolischen Tiere Schildkröte und Elefant auf. Ein Beispiel ist das Grabmal Girolamo Basso della Roveres (S. Maria del Popolo, mit Sanduhr).


Weitere Allegorien und Tugenden

  • Humilitas (Demut)

Eine in keinem Fall gekrönte weibliche Figur, die im Bußgewand mit Brottasche, Krone oder Schlange zu ihren Füßen vorzustellen ist. Nach Cesare Ripa wird die Humilitas als Wurzel des Tugendbaumes dargestellt, in der Psychomachia ist sie die Anführerin der theologischen und Kardinaltugenden im Kampf gegen die Laster.

  • Mansuetudo (Sanftmut)

Meistens als weibliche Figur mit einem Lamm dargestellt. Da das Lamm aber auch der Caritas zugehörig ist, ist ihre Identifizierung meist nur aus dem Zusammenhang der gesamten Darstellung heraus möglich.

  • Castitas (Keuschheit)

Weibliche Figur mit Palmenzweig oder Phönix, Fahne mit Taube, mitunter auf einem Einhorn reitend. Unter ihren Füßen kann sich ein Schwein befinden.

  • Abundantia (Überfluss)

Weibliche Figur, die in einer Hand ein überquellendes Füllhorn hält. Als weitere Attribute kann sie ein Bündel Ähren halten und mit einem Blumenkranz bekrönt sein. Im Gegensatz zur Caritas, die ebenfalls ein Füllhorn als Attribut mit sich führen kann, wird sie in der Regel ohne Kinder dargestellt. Als Tugend verkörpert sie den (für die Allgemeinheit errungenen) Wohlstand, wie beispielsweise am Grabmal Gregors XV. Ludovisi (Sant’Ingazio).

  • Magnificentia (Großartigkeit)

Weibliche Figur, die mit der rechten Hand ein Architekturprospekt hält, auf das sie mit der linken Hand deutet. In der barocken Allegorik kann sie des weiteren ein Abundantia-Horn mit sich führen. Der Magnificentia kommen zwei Bedeutungen zu: zum einen als fürstliche Tugend, die ihren Ausdruck in der ‚Großartigkeit‘ herrscherlicher Bautätigkeit findet und zum anderen als ‚Großartigkeit‘, die Kunstwerken innewohnt.

  • Religio (Religion)

Weibliche Figur, der verschiedene Attribute zugeordnet werden können. Häufig ist die Religio sitzend mit einem aufgeschlagenen Buch auf ihrem Schoss und einem Kreuz an ihrer Seite dargestellt. Sie kann allerdings auch stehend, mit Kreuz und Buch in der einen und einer Flamme in der anderen Hand erscheinen.